Solo-Violin-Rezital des niederländischen Geigers Maurits Bosman im Haus
der Stille in Kappel
Schon zum dritten
Mal hatte die Leitung des Hauses der Stille und Besinnung im Kappel am Sonntagabend zur Reihe "Musik und Wort"
eingeladen. Und auch am vergangenen Sonntag liessen sich gegen hundert Personen in den Bann der Musik und der treffend
ausgewählten Worte ziehen.
Ernst Schlatter
Auf eine alte Bekanntschaft der theologischen Leiterin des Hauses der Stille und Besinnung, Dorothea Wiemann Giezendanner,
mit dem niederländischen Geiger Maurits Bosman geht die Veranstaltung vom vergangenen Sonntagabend zurück:
Schon in Ascona, wo Dorothea Wiemann lange Zeit als Pfarrerin tätig war, hat sie fast an jedem zweiten Samstag
des Monats eingeladen zu "Musik und Wort" und Maurits Bosman ist auch dort schon als Solo-Violinist aufgetreten.
Bach'sche Musik von starker Expressivität
Mit den Werken, die Maurits Bosman für das Rezital ausgewählt hatte, konnte er die ganze Bandbreite der
expressiven Möglichkeiten seines Instruments ausloten.
Mit J.S. Bachs (1685 - 1750) "Sontate in g-moll, BWV 1001" wählte er zu Beginn eines von Bachs
Meisterwerken für die Geige, das um 1720 entstanden ist und wohl im Repertoire jedes Sologeigers steht.
Schon in den ersten Doppelgriffen des Adagios zeigte sich Bosmans Meisterschaft, die Tiefe dieses musikalischen
Meisterwerks transparent zu machen. Aufrüttelnd und wieder wie im Winterdunst verklingend, dann wieder scheinbar
fragend ganz zärtlich eine Antwort andeutend.
Die "Fuga" - wohl das Kernstück der Sonate in g-moll - entpuppte sich als tänzerisches Glanzstück:
Das Fugenthema, eine verführerische Melodie, wurde deutlich, aber trotzdem nicht aufdringlich herausgearbeitet:
Diese Melodiebögen, die schon fast frühlingshaft anmuteten und dann wieder verklangen, wie das Echo in
einem stillen Waldtal. Im "Siciliano" schienen Anklänge an ein um Erbarmen flehende "Kyrie
eleison" hörbar, um im "Presto" einem fulminanten Zwiegespräch Platz zu machen.
Eugène Ysaye - ein Virtuose des 20. Jahrhunderts
Der Mittelteil des Konzerts gehörte dem wallonischen Musiker Eugène Ysaye (1858 - 1931), der in seiner
Zeit als einer der grossen Virtuosen galt. Seit 1881 war er als Solist in der ganzen Welt auf Reisen, lehnte
gar das Angebot, Nachfolger A. Seidls als Dirigent der New Yorker Philharmoniker zu werden ab und wurde 1918 -
1922 schliesslich Chefdirigent in Cincinnati. Doch dieses Virtuosenleben soll seinen wirklichen Beitrag zur musikalischen
Kunst nicht schmälern. Trotzdem muss man seine "Sonate in E-Dur, opus 27", die am häufigsten
aufgeführt wird, wohl in grossen Teilen als eine "musikalische Spielerei durch alle Oktaven" betrachten,
die dem Solisten im Schwierigkeitsgrad alles abforderte. Da waren denn auch im Mittelteil Anspielungen an Fritz
Kreisler und Pablo de Sarrasate zu hören.
Ciaccona in d-moll - ein Werk für "die einsame Insel"
Den Abschluss bildete Bachs "Ciaccona" (aus der Partita in d-moll, BWV 1004). Auch hier hatte sich Maurits
Bosmann den gigantischen Schlussteil - eben die Chaconne - ausgewählt, fraglos eines der Bach'schen Monumente
von vollendeter Schönheit, das auf bezaubernde Weise alle menschlichen Regungen ausdrückt: Mal zupackend,
tänzerisch (der Mittelteil), dann wieder fast zaghaftes Anhalten und Wieder-Ausbrechen in ein neues melodisches
Feuerwerk. Im langsamen Schlussteil eine liedhafte Passage und ein erneutes Aufschwingen in beinahe ätherische
Höhen, die der Vermutung recht geben könnten, es handle sich bei diesem Werk als eine Art Epitaph für
Bachs erste Frau Maria Barbara, die starb, als er auf einer langen Reise weg war.
Stille, in der alle Fragen verstummen
Dorothea Wiemann gestaltete den Rahmen dieser Sonntagabend-Veranstaltung mit eindrücklichen Texten von Peter
Härtling, dem Berner Dichter-Pfarrer Kurt Marti (Beispiel siehe Kästchen) und Christa Spilling, welche
sich auf die aktuelle Weltsituation bezogen und doch nicht hoffnungslos machten: "kommen wird eine stille
/ in der alle fragen verstummt sind" (Kurt Marti).
Gastfamilien gesucht
Die Reihe "Musik und Wort" wird fortgesetzt am Sonntag, 30. März 2003. Um 17 Uhr wird der russische
Kammerchor "Lege Artis" aus St. Peterburg in der Klosterkirche zu Gast sein. Für die Unterbringung
der jungen Sängerinnen und Sänger sucht das Haus der Stille noch in der näheren Umgebung von Kappel
Privatquartiere von Samstag, 29. März bis Montag, 31. März. Interessentinnen melden sich bitte bei Dorothea
Wiemann Giezendanner, Telefon 01 764 88 09; Anne-Marie Wirth, Telefon 01 764 88 30 oder der Réception Telefon
01 764 88 10.
Bild: (eschla)
Der niederländische Geigenvirtuose Maurits Bosman im Zwinglisaal Kappel
Musik und Wort im Haus der Stille
was wird kommen? abendgedanken (Kurt Marti) kommen werden schlummer und träume mit seltsam mutierten vergangenheiten kommen wird der morgen die verwunderung noch immer vorhanden zu sein kommen wird die zeitung wirbel und wahn vom lay-out geordnet und auguren mit falschen prognosen kommen werden bessere zeiten doch besser für wen? und für wen eher nicht? kommen wird der postbote vielleicht mit einer unerwarteten nachricht kommen wird der kehrichtwagen müllsack um müllsack fliegt hinein kommen werden historiker die den zeitmüll akribisch sortieren kommen werden hoffentlich klügere menschen die unsere dummheiten nicht wiederholen kommen wird die klimaerwärmung viele symptome künden sie an kommen werden winde die niemand aufhalten kann kommen werden wolken schwer beladen mit meer kommen wird regen das eintönige schöne rauschen kommen wird eine stille in der alle fragen verstummt sind (aus: Kurt Marti: "kleine zeitrevue - erzählgedichte"; Nagel & Kimche, 1999) |