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Begegnungen auf dem Ämtlerweg


Auf dem südlichen Teil: Vom Müliberg bis nach Knonau: Gewöhnliche und ungewöhnliche Begegnungen. Und eigentlich mehr Ungewöhnliche!

Von Ernst Schlatter


Gut. Ich könnte jetzt von der zufälligen Begegnung mit den zwei älteren Reiterinnen erzählen, die jeden zweiten Tag der Woche von Zürich her hier auf den Müliberg kommen, um mit ihren Lieblingspensionspferden zu reiten. Könnte erzählen, wie sie nicht aufhören wollten, über die Gegend zwischen Müliberg, Aeugsterberg und Türlersee zu schwärmen …
Könnte auch von den drei Heimweh-Ämtlern - alle seit vielen Jahren in die weite Welt zerstreut (London, Chicago, Sao Paolo) - berichten, die sich jedes Jahr einmal treffen, um zusammen zu Fuss ihre alte Heimat neu zu entdecken und die sich dieses Jahr zum ersten Mal vorgenommen hatten, während dreier Tage den Ämtlerweg zu begehen, von dem sie schon so viel Gutes gehört hatten …
Reizvoller aber schienen mir die folgenden Begegnungen:

Ein alter Helvetier erregt meine Aufmerksamkeit: Der Ur-Dinkel

Vom Bislikerhau oberhalb von Affoltern wende ich mich über das Tägermoos dem Weiler Müliberg zu. Die Sommerhitze beginnt mir schon zu zusetzen und ich bin mir schon gereuig, dass ich mich nicht am frühen Morgen auf diese Wanderung gemacht habe. Da treffe ich ein Getreidefeld von aussergewöhnlicher Art. Die Ähren neigen sich schon von den langen Halmen. Sie sind reif zur Ernte. Aber das ist doch kein Weizen. Was denn?
Wie ein edler Ahnherr auf seinen Stammbaum, macht mich der Ur-Dinkel auf das Informationsschild am Rande des Getreidefelds aufmerksam und ich erfahre, dass Ur-Dinkel schon in der Pfahlbauerzeit angebaut wurde, dass dieses robuste Getreide ebenso gut wie an Seen auch auf kargen Böden und in Höhenlagen gedeiht und bis vor hundert Jahren das wichtigste Brotgetreide der Schweiz war. Heute umfasst das "Ur-Dinkelland" Schweiz rund 900 Ur-Dinkelproduzenten in zwölf Kantonen, welche sich nach den strengen Vorgaben von IP-SUISSE oder BIO SUISSE richten müssen. Schon die Äbtissin, Ärztin und Naturforscherin Hildegard von Bingen schrieb vor fast 900 Jahren über den Dinkel: "Dieses beste Getreide von allen ist kraftvoll und gut verdaulich. Es verschafft dem, der es isst, ein rechtes Fleisch und bereitet ihm ein gutes Blut. Die Seele des Menschen macht es froh und voll Heiterkeit."
Ich verneige mich vor soviel schlichter Würde und wandere weiter Richtung Aeugsterberg - nicht ohne mich vorher im Restaurant Müliberg gestärkt zu haben.

Das Geheimnis des Aeugsterbergs

Der geheimnis- und sagenumwitterte Wald des Aeugsterberges verschafft mir die erhoffte Kühlung und wie ich aus dem Wald trete, öffnet sich der Weg und vor mir liegt der Türlersee: Jedes Mal ein Erlebnis der besonderen Art.
Für einmal aber sind es zwei Tiere, welche meine Aufmerksamkeit absorbieren: Eine hellbraune Mutterkuh und ihr stolzes dunkles Rindlein beobachten mich, während dem ich sie beobachte. Die Frage bleibt ungeklärt, wer sich nun von wem beobachtet gefühlt hat. Die Mutterkuh gibt sich alle Mühe, dem Nachwuchs das Leben so angenehm wie möglich zu machen: Sie wedelt ihm mit ihrem Schwanz die Fliegen aus dem neugierigen Gesicht.
Ich verabschiede mich von den beiden, verspreche aber wieder vorbei zu kommen. Denn das Bänklein oberhalb ihrer Weide mit Blick auf den Türlersee hat es mir angetan: Dort werde ich nächstens lesen, schreiben und vielleicht noch andere Begegnungen machen.

Ein Paradies - nicht nur für Hunde!

Ich schlendere jetzt gemütlich dem Türlersee entlang. Dann geht es Richtung Süden vom See weg zur Tafel Nummer 6 mit der Schilderung der Sage vom Hexengraben. Erst will ich ein imaginäres Interview mit Frau Vrene vom Seeboden machen, doch da kommt mir der Golden Retriver von B.M. freudig entgegen gerannt, schüttelt sich mächtig die letzten Tropfen Türlerseewasser aus dem Pelz und beantwortet bereitwillig meine neugierigen Reporterfragen:

Anzeiger:

Wie gefällts dir hier am und im Türlersee?

Saskia (8 ½): Ich bin begeistert. Jedes Jahr verbringe ich viele Stunde mit meiner Meisterin hier oben.

Wie stehts denn mit deinen Schwimmkünsten?

Ich schwimme gern und gut und viel. Mache sogar den Kopfsprung vom Fischersteg.

Wie hast dus mit den Kindern?

Oh, ich liebe es mit ihnen um die Wette zu schwimmen, ihre Bälle zu holen und sie aufzufordern, mir den Ball erneut ins Wasser zu werfen. Manchmal muss mich meine Meisterin richtig gehend vom Wasser wegzerren, weil sie wieder nach Hause muss, wie heute Abend zu irgendeinem Rendez-vous …

Durch die hohle Gasse des Hexengrabens hinunter - und dann diese Sicht!
Über das heimelig versteckte Rifferswil unterhalb des Hombergs schweift mein Blick vom Zugerberg über Rigi, Pilatus. In der diesigen Ferne nur andeutungsweise die leichten Konturen der Berner Alpen.
Doch ich muss weiter. Dem Jungalbis entlang Richtung Heisch und Hausen, durch das Industrieareal der Firma Weisbrod-Zürrer - das Rattern der Maschinen evoziert die ganze Textil- und Seidenindustrie-Geschichte im Bezirk Affoltern der vergangenen 150 Jahre - doch ich muss weiter.
"Und wenig Geschichtliches", hat doch der Chefredaktor gesagt: "Begegnungen wollen wir lesen, Begegnungen sind für unsere Leser spannend".
So lasse ich denn - für einmal - Huldrych Zwinglis Denkmal, die Näfenhüser und gar das ebenso geschichtsträchtige Kloster Kappel links liegen und komme durch das charmante Rifferswil, vorbei an der Sommerwirtschaft Sternen, die zum Glück geöffnet ist, über die historische Brücke über den Haselbach am ebenso historischen Verkehrsweg (Zürich - Luzern) beim Mettmenstetter Weiler Wissenbach zum Endpunkt meines Ämtlerweg-Abschnitts: nach Knonau.

Begegnung mit zwei Riesen und einem Denker

Vergessen Sie einfach alles, was Sie über Knonau schon wissen: N4-Stumpf, Zigeunerstützpunkt, das nicht stattfindende Open Air und schauen Sie sich dieses Schloss und seine Umgebung an! Übrigens das einzige Schloss im Bezirk. Mit diesen zwei riesigen Platanen, den grössten und ältesten in der Schweiz - und im Schlosshof die Rodin-Bronze-Statuen! Und lassen Sie sich von diesen Riesen und von Rodins "Denker" erzählen von den unzähligen Begegnungen, die hier stattgefunden haben und nun immer wieder stattfinden können.
Falls Sie sich doch vorgängig einen Eindruck dieses Schlosses, das seit 1998 wieder in Privatbesitz ist, machen wollen, bitte:
www.schloss-knonau.ch gibt ausführliche Auskünfte, wo auch Besichtigungstermine vereinbart werden können (Verkaufsausstellungen von Skulpturen, Meissner Porzellan und Antiquitäten).

Begegnungen auf dem Aemtlerweg:

1 Ur-Dinkelfeld beim Müliberg. (Bild eschla)

2 Mutterkuh und Rind oberhalb des Türlersees. (Bild eschla)

3 Interviewgast: Golden Retriver. (Bild eschla)

4 Hexengraben: Hohlweg im Aemtlerweg oberhalb Herferswil. (Bild eschla)

5 Riesenplatanen und Rodins "Denker" im Schlosspark Knonau. (Bild eschla)