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Nachruf für Lise Meyer-Camenzind, Hausen

17. August 1920 bis 25. Dezember 2003

  Geh nicht die glatten Strassen nur,
geh Wege, die noch niemand ging,
damit Du Spuren hinterlässt
und nicht nur Staub.


(Antoine de St. Exupery)

Am Weihnachtstag des vergangenen Jahres ist Lise Meyer-Camenzind aus Hausen nach kurzer Krankheit verstorben. Am vergangenen Dienstag hat eine grosse Trauergemeinde in der reformierten Kirche Hausen von ihr Abschied genommen.
Lise Meyer-Camenzind war in verschiedener Hinsicht eine aussergewöhnliche Frau, die nie nur den einfachen Weg ging.
Früh schon stand sie als junge Mutter mit zwei Kindern allein da. Ohne zu jammern, hat sie ihr Schicksal in die eigenen Hände genommen und sich - neben ihrer Arbeit als "Schreibmagd", wie sie sich selber bezeichnete - sehr aktiv für Frauenanliegen eingesetzt. Sie gehörte auf dem Platz Zürich zu den Pionierinnen der Sozialdemokratie und der Arbeiterinnenbewegung. Sie sah in verschiedenen Betrieben - erst in Wädenswil, dann im Knonaueramt - in die Abläufe, die damals noch häufig nur von Männern geprägt waren, hinein und hat sich - nicht nur für sich selber - gewehrt. Hat Artikel und Leserbriefe geschrieben. Ist an Behörden gelangt, wenn sie glaubte, dass da etwas nicht mit rechten Dingen her und zu ging.

Sie hat sich damit nicht nur Freunde geschaffen, weil sie kein Blatt vor den Mund nahm. Das war sie sich immer bewusst. Im Gespräch - bis zum Schluss - ist aber auch ihr tief gegründeter Humor immer wieder zum Ausdruck gekommen. Auch war es ihr stets ein Bedürfnis, anderen Menschen die Augen für Schönheiten in der Kunst, der Musik und der Literatur zu öffnen: Sie war bis zu letzt sehr aktiv in einer Ausstellungsgruppe in ihrem Wohnort Hausen tätig und regte immer wieder zum Besuch von Ausstellungen und Konzerten an.

Im Alter von 77 Jahren legte sie mit Memoiren einer Schreibmagd - Eine Lebensgeschichte (im Realtopia Verlag, Zürich erschienen) ihr erstes Buch vor, mit dem sie im Jahr 2000 einen Preis der Stiftung "Kreatives Alter" erhielt. Darin schilderte sie ihre Erlebnisse vom Bürolehrmädchen bis zur Sekretärin-Buchhalterin (von 1937 bis 1982) und beschrieb so sehr anschaulich 45 Jahre Sozialgeschichte der Schweiz.

Im Jahr 2002 folgte mit Spitalliebe (im Zürcher Nimrod-Verlag) eine weitere Arbeit, die zeigt, wozu kreative Menschen fähig sind, die ihr Leben auch im Alter mit grosser Bewusstheit leben.
In Spitalliebe - einem Buch mit Illustrationen des bekannten Malers und Illustrators René Villiger - spricht ihre Liebe und Bewunderung für ein Regionalspital - unschwer zu erkennen ist das Bezirksspital Affoltern.

Mit 80 Jahren hat sie dort ihren ersten längeren Spitalaufenthalt erlebt, der bei ihr nachhaltige Eindrücke hinterlassen hat, von denen sie einige im Buch wiedergab, um auch anderen Mut zu machen, sich den wohlwollenden Händen der vielen im Spital Tätigen anzuvertrauen. Dabei mied sie auch schwierige Themen wie nächtliches Wach-Liegen, Schamgefühle und Sterben nicht. Doch es ist - typisch für Lise Meyer-Camenzind - ein Buch, das auch erheitert, wenn man schon im Spital ist und Schmunzeln macht, wenn man Ähnliches erlebt hat.

Noch im vorletzten Jahr hat sie im "Anzeiger" eine Kolumne angeregt, zu der sie jeden Monat viel beachtete Beiträge zu Fragen des Alters schrieb, und hat so Spuren hinterlassen, deren Fortsetzungen uns jetzt fehlen werden.

Die beiden erwähnten Bücher sind im Buchhandel erhältlich und in der Buchhandlung Scheidegger am Lager.

Ernst Schlatter