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Mobbing: Ein Thema in aller Munde

Eine Publikation von Klaus Schiller-Stutz aus Hedingen

Klaus Schiller-Stutz, Fachpsychologe und Psychotherapeut FSP mit einer Praxis in Hedingen und Dietikon hat kürzlich im Spektramdia-Verlag ein Aufsehen erregendes Buch zum Thema "Mobbing" veröffentlicht. Der "Anzeiger" hat mit dem Autor gesprochen. (Nov. 2005)

Von Ernst Schlatter


Anzeiger: Herr Schiller-Stutz, Sie haben kürzlich bei SPEKTRAmedia ein HRM-Dossier unter dem Titel "Mobbing und Arbeitsplatzkonflikte" herausgegeben. An wen richtet sich diese Publikation vor allem?

Klaus Schiller-Stutz: Das HRM-Dossier (HRM = Human Ressource Management) richtet sich vor allem an Führungspersonen, Vorgesetzte und Personalverantwortliche im Human Ressource Management und stellt eine Art Leitfaden zum Thema "Arbeitsbedingungen und Gesundheit - Hin zu gemeinsam getragenen Strategien" dar. Die im HRM-Dossier aufgeführten Präventionskonzepte wie betriebliche Gesundheitsförderung ermöglichen Führungspersonen in ihren Betrieben, die Ressourcen ihrer Angestellten für wertschätzendes und kooperatives Engagement zu gewinnen und zu fördern und somit der kostspieligen Entwicklung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch psychosozialen Stress und Mobbing vorbeugend Einhalt zu gebieten. Im Rahmen der Fürsorgepflicht ist es unter anderem die Aufgabe der Führungspersonen, die physische und psychische Gesundheit der Angestellten zu schützen und deren Persönlichkeit zu achten (unter anderem auch Mobbing zu verhindern und um konstruktive Lösungen von Konflikten bemüht zu sein).
Das HRM-Dossier bietet Arbeitgebern und Arbeitnehmern Hilfestellung in Form von Begriffsdefinitionen und einer ausführlichen Darstellung von Ursachen, Verlauf und Auswirkun-gen von Mobbing und Arbeitsplatzkonflikten für betroffene und beteiligte Personen, den Betrieb und die Gesellschaft. Hilfreiche Checklisten dienen dabei zur Erkennung von potentiellem psychosozialem Stress und Mobbing. Ausgehend von den Ergebnissen und Erkenntnissen der Studien über psychosozialen Stress und Mobbing in der Schweiz sowie in Europa werden in dem HRM-Dossier zur Unterbindung von Mobbing-Aktivitäten und Unterstützung von Betroffe-nen seitens der Führungspersonen verschiedene Handlungsmöglichkeiten sowie Interventi-onsmassnahmen für einen lösungsorientierten Umgang mit Mobbing und Arbeitsplatzkonflikten aufgezeigt. Je früher Arbeitsplatzkonflikte, psychosozialer Stress und Mobbing erkannt werden, umso grössere Schadensbegrenzungen können auf gesundheitlicher, menschlicher, sozialer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene für Angestellte und das Unternehmen erreicht wer-den.

Der Untertitel der 45-seitigen Broschüre lautet "Psychosozialen Stress erkennen - konstruktiv lösen - vorbeugen". Beinhaltet der Begriff "Psychosozialer Stress" das, was man landläufig unter Mobbing versteht?

Unter "Psychosozialem Stress" versteht man psychische und soziale Bedingungen, die Ursachen deutlicher Störungen des psychischen Gleichgewichts sind. Dauert psychosozialer Stress über einen längeren Zeitraum an und fehlen entsprechende interne und externe Ressourcen zur Bewältigung, so kann dieser zu psychischen und psychosomatischen Erkrankungen sowie zur Entwicklung von Mobbing führen. Mobbing gilt als eine Extremform von psychosozialem Stress, jedoch ist nicht jeder psychosozialer Stress gleich Mobbing. Mobbing wird teilweise inflationär für jeden Arbeitsplatzkonflikt verwendet, doch nicht jeder Arbeitsplatzkonflikt ist gleich Mobbing. Durch die repräsentative Studie über "Mobbing und andere psychosoziale Spannungen am Arbeitsplatz in der Schweiz" (seco, 2002) wurden eindrücklich die Zusammenhänge zwischen der Zunahme des psychosozialen Stresses bis hin zu Mobbing und der damit einhergehenden Zunahme der verschiedenen psychischen und körperlichen Beschwerden und Erkrankungen, der Arztbesuche und der Krankheitstage erfasst und aufgezeigt. Aufgrund der Ergebnisse verschiedener Studien wird davon ausgegangen, dass psychosozialer Stress und Mobbing in Ländern zunehmen, in denen beschleunigte soziale und wirtschaftliche Umwälzungen stattfinden.

Sie bezeichnen Mobbing als Symptom einer ungesunden Betriebskultur. Was sind die ersten Anzeichen dafür?

Zahlreiche Hinweise in Studien sprechen dafür, dass die Ursachen für Mobbing gleichermassen in folgenden vier Faktoren gesucht werden müssen: Organisation, Gruppe, Täterinnen/Täter und betroffene Person. Dies wird auch dadurch erhärtet, dass in drei von fünf Fällen jeweils zeitgleich im selben Betrieb mehrere Mobbingsituationen bestanden haben. Es gilt daher Abschied zu nehmen von dem lang praktizierten "Schwarz-Weiss-Malen" beziehungsweise vom "Sündenbockdenken", denn unter ungünstigen Bedingungen kann jede Person - unab-hängig von ihrer Persönlichkeitsstruktur - Opfer von Mobbing werden.
Als erste Anzeichen für eine ungesunde Betriebskultur lassen sich Verschlechterungen im Arbeits- und Leistungsverhalten von Angestellten feststellen. Weitere Indizien sind: vermehrt Fehlhandlungen und Fehlleistungen der betroffenen Person; eine andauernde, angespannte und gereizte Stimmung im Team; Verschlechterung des Betriebsklimas; höhere Fehlzeiten durch wiederholte Abwesenheiten und Krankschreibungen sowie eine Abnahme der Kooperativität und der Kreativität der Angestellten. Diese Entwicklung kann wiederum negative Auswirkungen auf Qualität, Quantität und Produktivität bis hin zur Reduktion des Umsatzes und Verschlechterung des Images eines Unternehmens haben. Eine erhöhte Personalfluktuation kann ein weiteres Alarmzeichen sein.

Sie geben Hinweise für mögliche Interventionen bei Auftreten von Mobbing. Was sollte ein von Mobbing Betroffener tun, wenn die Interventionen scheitern?

Spätestens dann sollte die betroffene Person eine fachliche Beratung bei einer externen Fachperson aufsuchen, um die verletzenden und kränkenden Ereignisse zu verarbeiten. Mit Hilfe einer Mobbing-Ursachen-Analyse sowie eines Konflikt-Organigramms kann die betroffene Person Bewältigungs- und Lösungsschritte entwickeln, um die bestehenden Probleme sachlich im Betrieb anzusprechen und konstruktive Lösungswege einschlagen. Auf jeden Fall gilt es, die Schuld nicht nur bei sich, aber auch nicht ausschliesslich bei den anderen zu suchen, sondern durch Gespräche die Ereignisse zu analysieren und zu verstehen sowie neue Perspektiven zu entwickeln.

Im Anhang 1 Ihrer Broschüre geben Sie 45 Mobbing-Handlungen an. Welche ist für Sie die gravierendste und wie viele braucht es, um wirklich von Mobbing zu sprechen und entsprechend zu reagieren?

Als die gravierendste Mobbing-Handlung wird von betroffenen Personen "das Verbreiten von Gerüchten und Unwahrheiten" angegeben, oft kombiniert mit "falscher Bewertung und falscher Einschätzung von Arbeitsleistungen dieser Person", was sie oft lange Zeit nicht realisiert, da dies hinter ihrem Rücken erfolgt. Diese Fehleinschätzungen werden manchmal als Begründung für die nachlassende Arbeitsleistung und eventuell als Legitimation für eine Kündigung dieser Person aufgeführt. Weitere häufig genannte Mobbinghandlungen sind: "Man macht sich über jemanden lächerlich", "Man spricht nicht mehr mit dem/der Betroffenen", "Man wird wie Luft behandelt", "Man lässt sich nicht mehr ansprechen" und "Man verdächtigt jemanden, psychisch krank zu sein".
Von "Mobbing" spricht man, wenn eine oder mehrere negative, schikanierenden und demütigenden Verhaltensweisen von einer oder mehreren Kolleginnen/Kollegen, Vorgesetzten oder Untergebenen über einen längeren Zeitraum wiederholt und systematisch gegenüber eine Person ausgeübt werden, mit dem Ziel der Ausgrenzung dieser Person. Mobbing kann auch umschrieben werden mit "Jemand spielt einem übel mit und man spielt wohl oder übel mit." Da in der Regel während dieses Prozesses ein Machtgefälle entsteht und eine betroffene Person dabei in eine unterlegene Position gerät, aus der sie nur schwer alleine herauskommen kann, sollte eine betroffene Person im Betrieb zur Beratung und Unterstützung an eine neutrale Ansprechperson wenden, zu der sie wirklich Vertrauen hat. Falls ein Betrieb keine betriebsinterne Ansprechperson oder eine Anlaufstelle zur Beratung von Angestellten bei Arbeitsplatzkonflikten und Mobbing hat, sollten sich betroffene Personen zur Beratung an externe Fachpersonen wenden.

Der Anhang 2 gibt eine Checkliste unter dem Titel "Checken Sie die Stimmung am Arbeitsplatz". Sie umfasst 21 Punkte. In der Auswertung bezeichnen Sie 10 und mehr Punkte als "Alarmstufe rot". Kann der Betroffene bei dieser Ausgangslage allein noch etwas unternehmen oder was empfehlen Sie jemandem, der sich in einer solchen Lage befindet?

Eine Person, welche sich in einer derartigen Situation befindet, sollte sich überlegen, welcher betriebsinternen Ansprechperson sie wirklich vertrauen kann und diese um Aussprache, Unterstützung und entsprechende konstruktive Interventionen bitten. Falls in dem Betrieb keine derartige Ansprechperson vorhanden ist oder das notwendige Vertrauen fehlt, sollte mit einer neutralen externen Fachperson die Situation analysiert werden, gemeinsam nach (Er-) Klärun-gen und Lösungen gesucht und mögliche Bewältigungsstrategien entwickelt werden.
Von einer Eigenkündigung ist - gerade in einer Situation mit "Alarmstufe rot" - ohne Durchführung einer entsprechenden Analyse der Situation, ohne Entwicklung neuer Perspektiven und entsprechende Klärungsgespräche mit Führungspersonen - abzuraten, da mit neuen, weiteren Problemen zu rechnen ist.

Schlussfrage: Welches ist Ihr grösstes Anliegen mit Ihrer Schrift?

Mit diesem HRM-Dossier möchte ich vor allem Führungspersonen, Vorgesetzte und Personalverantwortliche ermuntern, in ihrem Betrieb präventive Massnahmen zur Förderung der Gesundheit, der Menschlichkeit und des Respekts am Arbeitsplatz in die Unternehmenspolitik einzuführen und zu pflegen sowie bei Konflikten nach dem Motto: "Hinschauen statt Wegsehen - Probleme annehmen und Konflikte konstruktiv lösen - gemeinsam die Verantwortung wahrnehmen und handlungsfähig bleiben" vorzugehen. Infolge knapper Ressourcen kann den steigenden Anforderungen im Arbeitsbereich gerade in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit durch Einführung eines Gesundheitsmanagements als Unternehmenspolitik in Betrieben den zunehmenden gesundheitlichen Störungen und psychischen Problemen der Angestellten sowie den Kosten steigenden Faktoren im Personal- und Gesundheitswesen wirksam entgegengewirkt werden.
Angaben zum Buch:
Klaus Schiller-Stutz: "Mobbing und Arbeitsplatzkonflikte - Psychosozialen Stress erkennen - konstruktiv lösen - vorbeugen",

2005 erschienen bei SPEKTRmedia, Zürich. - ISBN 3-908244-44-7
Kann bestellt werden bei Klaus Schiller-Stutz,
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Interview: Ernst Schlatter

Bild: Klaus Schiller-Stutz. (Bild eschla)